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Der Fall Breivik als Test für den Rechtsstaat

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Hier im Blog blieb es die letzten Tage ruhig, da ich im Moment einfach nicht zum Bloggen komme (das ändert sich vielleicht morgen). Damit es nicht ganz still wird, möchte ich ein paar Gedanken zum Fall Breivik posten. Keine Sorge, ich werde versuchen nicht nochmals alles zu analysieren, was schon tausend mal gesagt wurde. Es geht mir um die allgemeinere Frage, was ein solcher Fall für den Rechtsstaat bedeutet und über unser Rechtsverständnis aussagt.

Einige bei der NZZ gemachten (und moderierten!) Kommentare haben mich zu diesem Eintrag inspiriert. Eigentlich sollte ich es besser wissen, aber wie ein Schaulustiger bei einem Unfall muss ich immer wieder hinstarren. Ich möchte gar nicht wissen, was bei weniger intelligenten Blättern in den Kommentarspalten so angeschwemmt wird. Ich habe keine Ahnung wie repräsentativ diese Kommentare für die breite Bevölkerung sind. Sie illustrieren aber gut, wie ein solcher Fall ein Test für einen Rechtsstaat ist und wie sehr (oder wie wenig) wir seine Prinzipien verinnerlicht haben.

Beginnen wir mit der Kritik an den Medien, die immer wieder geäussert wird:

Ein Rechtstaat muss diesem Mann den Prozess machen. Aber müssen ihm die Medien auch noch den Gefallen tun, ihn prominent zu machen?

Irgendwie spinnen wir das wir diese Berichterstattung über uns ergehen lassen. Im Radio, im TV, in der Zeitung.

Hat nicht eine Station genug Mumm um zu sagen bringen wir NICHT! Schluss.
Früher hätte der einen kurzen Prozess gekriegt und vor Sonnenaufgang hääte [sic!] der vor den Stadttoren seine letzte Zigarette bekommen. Aber Hoppla da kommen jetzt die wieder mit der Bibel und andere… Ich drücke den Knopf und dann ist der für mich im……

Dieser Mann will nichts anderes mehr, als seine Ideen vor einem möglichst grossen Publikum ausbreiten. Seriöse Medien sollten dazu nicht Hand bieten. Liebe NZZ: stoppt die Berichterstattung zu diesem Fall oder reduziert sie auf das absolute Minimum!

Für Umsatzsteigerung wird alles gemacht, nur schlechte Nachrichten sind “gute” Nachrichten. Rücksicht auf Angehörige? Respekt für die Opfer? Sicher nicht. Da wird einem Massenmörder eine Bühne geboten – Pfui Teufel – Medien!!

Ich habe natürlich keine Ahnung von der norwegischen Strafprozessordnung, will und kann mich darum dazu nicht äussern. Sieht diese aber vor, dass solche Prozesse öffentlich sind, sehe ich nicht ein, warum es dieser nicht sein soll. Alle Fälle sollten gleich behandelt werden und es kann keine nicht vorgesehene “Breivik-Ausnahme” geschaffen werden. Noch befremdlicher finde ich die rufe nach medialer Selbstzensur. Ich kann diese Forderungen noch nachvollziehen, wenn man ein öffentliches Interesse bezweifelt, wie zum Beispiel damals im Kachelmann-Prozess. Aber es würde wohl kaum jemand bestreiten, dass die Anschläge von Norwegen grosse politische Debatten auslösten und ziemlich sicher eine bedeutende politische Dimension aufweisen. Ich habe zudem den Verdacht, dass einige dieser Kommentatoren, bei Prozessen gegen andere Terrorismusangeklagten weniger Bedenken haben. Das ist aber zugegebenermassen reine Spekulation.

Es gibt aber, so vermute ich, noch einen anderen Grund der mitspielt, warum einige denken, dieser Prozess sollte gar nicht in dieser Form stattfinden:

Dass er [der Prozess] zehn Wochen dauern soll, ist aber weniger erfreulich – ausser natürlich für die Medien. Der Täter ist geständig, was muss denn in den zehn Wochen verhandelt werden?

Viele haben Breivik schon verurteilt. Er hat schliesslich die Taten gestanden. Doch muss eben auch zur Kenntnis genommen werden, dass er eine strafrechtliche Verantwortung nicht anerkannt hat. So absurd uns seine Rechtfertigungen auch vorkommen, kann ein System, dass Neutralität wahren möchte, Breiviks Schuld nicht einfach als gesetzt annehmen. Vielleicht ist es in diesem Fall glasklar, vielleicht in einem andern ziemlich klar, es kommt aber irgendwann der Fall, wo es nur noch fast klar ist. Versucht man nicht allen Fällen mit der gleichen Neutralität zu begegnen, dann verliert der Rechtsstaat seine Legitimität, weil eine Vorverurteilung stattfinden muss. Das besteht der Unterschied zur Lynchjustiz. Die Verurteilung findet nicht zuerst statt.

Dies Möglichkeit zur Evaluation wollen einige genau wegen dieser Vorverurteilung eben nicht sehen. Darum kann man über Schuld und Unschuld vom Sofa aus entscheiden. Wozu braucht man noch Gerichte:

Ich empfinde den Versuch, dem Geschehenen einen Rechtsrahmen zu geben nicht sinnvoll. (…) Breivik ist mit Sicherheit nicht Krank in verständlichem Sinne. Dies wäre eine ungeheure Beleidigung aller Psychiatriepatienten. Der als Unmensch von mir betitelte Breivik ist ein simpler Nazi. (…)

Man sollte ihn auch im Meer versenken. Eine Nacht-und Nebelaktion. Nazis keine Chance geben. Sogar noch Videos von Breivik veröffentlichen… Hey,.. hallo Medien, wo leben wir denn?

Vielleicht am klarsten zum Tragen kommt der Unterschied zwischen unserem Rechtsempfinden und einem fairen Verfahren bei einem spezifischen von der NZZ korrekt verwendeten Wort:

Warum schreibt die NZZ “mutmasslichen Massenmörder” ?!

Vielmehr ist die Sache glasklar und unbestritten; einzig die geistige Gesundheit wird zu verhandeln sein. Mit “mutmasslich” wird die politische Korrektheit ad absurdum getrieben.

Eigentlich bin ich für den Vergleich mit politischer Korrektheit dankbar. Das ist genau mein Problem mit vielen, die bei jeder Gelegenheit sich deswegen das Maul verboten sehen. Eigentlich verlangen sie eine Kapitulation vor dem Volksempfinden. Nicht eine faire, durchdachte und begründbare Formulierung, sondern einen Mehrheitsentscheid. Nun ist Breivik aber noch nicht rechtskräftig verurteilt. Es ist nicht primär aus Respekt vor ihm, sondern aus Respekt vor dem Rechtssystem, dass er erst dann des Mordes schuldig ist, wenn er deswegen verurteilt wurde. Egal was die NZZ Kommentarschreiberlinge zu wissen glauben.

Wiederum überlasse ich es einem Kommentar die Überleitung zum letzten Thema zu machen. In diesem Kontext muss natürlich die Todesstrafe auch auf den Tisch:

Wenn sich ein Massenmörder wie Breivik für unschuldig hält, und davon überzeugt ist in Notwehr gehandelt zu haben, und seine seine “Verteidiger” auf einen Freispruch plädieren, spätestens dann, sollte er in einem arabischen Land vor Gericht stehen. Wenn ihm dann der Scharfrichter seine Gräueltaten vorliest, würde es ihm wahrscheinlich klar werden ob er in Notwehr gehandelt hat oder nicht.

Ein Mensch wie Breivik ist eh besser bedient mit eienr [sic!] Giftspritze! Eine Gesellschaft sollte sich mit so einem Ungeheuer nicht mehr befassen.

Man sollte für Schwerverbrecher diesen Kalibers die Gesetze in ganz Europa ändern, damit solche Täter niemals wieder in unsere Gesellschaft integriert werden können. Aber solange Kindermörder wie unlängst in Deutschland,eine Entschädigung von € 3000 .- zugesprochen wird, wegen erlittener Gewaltandrohung durch einen Ermittler, dann sind wir weit weg von einer solchen Gesetzesänderung.

Ein Rechtsstaat zeichnet sich eben dadurch aus, dass er nicht bei der erstbesten Gelegenheit die Regeln ändert. Wenn man ein Problem mit der saudischen Justiz hat, weil diese nicht dem eigenen Menschrechts-Standard entspricht, dann kann man nicht sich diese plötzlich herbeiwünschen, nur weil man meint, einen selbstdeklarierten ausserordentlichen Fall vor sich zu haben. Breivik hat völlig unabhängig von seinen Taten ein Anrecht auf eine gute Verteidigung. Dies gilt ebenso für Vergewaltiger, Serienmörder und Konzentrationslagerkommandanten. Auch das ist Teil von Gerechtigkeit und eine Notwendigkeit für ein faires Verfahren.

Und zum Schluss kann ich mir einen letzten, diesmal politischen Kommentar nicht verkneifen: All dies gilt natürlich auch beim Umgang mit anderen Terroristen: Linken, Neonazis, Islamisten und Sektenführern. Da mir oft, wenn ich Islamophobie verorte, Sympathien für den Islam nachgesagt werden, frage ich mich, ob meine Verteidigung der Rechte Breiviks nun zum Anti-Multikulti-Rechtsaussen-Versteher machen. Ich bezweifle es. Da würden doch tatsächlich Weltbilder in sich zusammenbrechen müssen.

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